Otto-Wagner-Grün: Die Wiener Stadtbahn

Die Aufnahme zeigt einen Teil des U4 Stationsgebäudes. Zu erkennen sind der aus Metallbuchstaben aufgesetzte Schriftzug Friedensbrücke sowie eine grün gestrichene Metallsäule, an der zwei circa 1 Meter große Eichenlaubkränze aus grün lackiertem Metall befestigt sind.
Foto: BDA, Irene Hofer

Otto Wagner war ein Star seiner Zeit. Durch seinen mit Funktionalität gepaarten hohen ästhetischen Anspruch beeinflussen seine Werke das Wiener Stadtbild bis in die Gegenwart maßgeblich.

Zu seinen Schlüsselbauten zählt sicherlich die Wiener Stadtbahn, mit der er ein bautechnisches Gesamtkunstwerk geschaffen hat, das bis heute die Stadtlandschaft prägt. Die ursprünglich als Dampfstadtbahn geführte Bahnlinie wurde zwischen 1898 und 1901 fertig gestellt und erhebt durch die vielen dekorativen Details die gesamte Anlage zu einer Ikone des Wiener Jugendstils.

Otto Wagners Entwürfe umfassten die Stationen inklusive der Inneneinrichtungen, Brücken, Viadukte, selbst Waggons wurden von ihm entworfen (jedoch nicht ausgeführt). Durch ständig sich wiederholende Formen und Dekordetails definierte der Architekt einen hohen Wiedererkennungswert für die gesamte Anlage.

Jede Wienerin und jeder Wiener assoziiert die in so genanntem Resedagrün, einem blassen Hellgrün, gestrichenen Sonnenblumengitter der Brückengeländer mit der „alten Stadtbahn“. Auch die Holzoberflächen, wie Türen und Fenster sind heute, ebenso wie alle Metallkonstruktionsteile, in dem gleichen charakteristischen Farbton gehalten. Die Verwendung von viel Blattgold dient der Bildung von Akzenten. Otto Wagner schuf mit seiner Formensprache und der einheitlichen Farbgebung ein Markenzeichen, das in unserer heutigen Zeit vielleicht mit dem Begriff Corporate Identity gleichgesetzt werden könnte.

Doch, stimmt das wirklich alles?

Seit 2015 werden die Stationsgebäude der so genannten ehemaligen Vorortelinie, also der Verbindung von Hütteldorf über Ottakring, Hernals und Döbling bis Heiligenstadt und der so genannten Gürtellinie, die der heutigen Linienführung der U6 entspricht, renoviert. Aufgrund der bisher vom Labor begleitend durchgeführten stratigraphischen Befundungen zeigte sich, dass Metalloberflächen der Stadtbahnstationen entstehungszeitlich bisher in keiner einzigen Station hellgrün sondern durchgehend hellbeige gefasst waren und diese Farbgebung auch mehrfach wiederholt worden war. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten die Metallteile die heute bekannte Grünfassung. Dies bedeutet, dass die umgangssprachlich als „Otto Wagner-Grün“ oder „Stadtbahngrün“ bezeichnete grüne Farbgebung definitiv erst eine „Schöpfung“ aus der Nachkriegszeit ohne jeden einen historischen Bezug, darstellt.

Auch die heute grün gehaltenen Holzoberflächen zeigen entstehungszeitlich eine braune Maserierung in der Erstfassung. Tatsächlich handelt es sich bei dem als "Resedagrün" bezeichneten hellgrünen Farbton um eine Farbe, wie sie vorwiegend in den 1950 bis 1970er Jahren für Maschinenanstriche Verwendung fand. In der DIN 1844 (1974-12, zurückgezogen) wurde dieser Farbton sogar als Grundanstrich für Maschinen mit einem bestimmten Farbwert (RAL 6011) definiert.

Selbst wenn die aktuellen Befundungen keinen Einfluss auf das Restaurierziel haben werden, bilden sie doch einen nicht uninteressanten Einblick in die Wiener Stadtentwicklungsgeschichte. Das Beispiel zeigt sehr schön, wie schnell Sehgewohnheiten übernommen werden und bei unkritischer Betrachtung als historische Tatsachen interpretiert werden.