Weitere Recherchen zum Massaker von Rechnitz – ein Arbeitsbericht

Am 20. Oktober 2021 fand eine weitere Besprechung der mit den Recherchen zum Massaker von Rechnitz befassten Expert:innen und Behördenvertreter:innen auf Einladung des Bundesdenkmalamtes statt. Dabei wurden die Tätigkeiten und Ergebnisse der letzten Monate besprochen und zukünftige Vorhaben koordiniert.

Ausgangslage

Seit 2013 beteiligt sich das Bundesdenkmalamt aktiv an der Suche nach den Opfern des Massakers von Rechnitz, eines der größten nationalsozialistischen „Endphaseverbrechen“ in Österreich. Etwa 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter wurden in der Nacht vom 24./25. März 1945 südlich von Rechnitz erschossen und verscharrt. Obwohl zur Lage der Gräber zeitgenössische Quellen, vor allem in den Akten der Rechnitzer Volksgerichtsprozesse bis 1948, vorhanden sind, blieben Nachforschungen nach den Gräbern durch Grabungen und Prospektionen verschiedener Institutionen seit Ende der 1960er Jahre erfolglos.

Die geografischen Gegebenheiten südlich der Marktgemeinde Rechnitz erschweren das Auffinden der Gräber. In diesem sehr flachen Areal sind der sogenannte Kreuzstadl und das als „Remise“ bezeichnete Wäldchen die einzigen deutlichen geografischen Anhaltspunkte zur Beschreibung der Lage der Gräber, die auch in Zeugenaussagen immer wieder erwähnt werden. Referenz und Grabungsort waren auch Teile des von den Nationalsozialisten mithilfe von Zwangsarbeiter:innen errichteten, in etwa in Nord-Süd-Richtung verlaufenden ehemaligen „Südostwalls“: ein linear verlaufender Panzergraben sowie ein diesem östlich vorgelagerter, verwinkelt verlaufender Laufgraben samt Vorfeldstellungen. Die Strukturen dieser ehemaligen Verteidigungsanlage wurden nach Kriegsende zugeschüttet, sind aber heute auf Luftbildern und durch die geophysikalischen Prospektionen klar erkennbar.

Archäologische Grabungen des Bundesdenkmalamtes

Das Bundesdenkmalamt begann 2013 mit bisher vor Ort tätigen Institutionen, der Marktgemeinde Rechnitz und dem für Kriegsgräber zuständigen Bundesministerium für Inneres Gespräche über weitere Vorgehensweisen. Inhaltlich federführend war im Bundesdenkmalamt Franz Sauer von der Abteilung für Archäologie, der die Grabungsleitung innehatte. Die „Arbeitsgemeinschaft Geschichte und Archäologie“ (AGA) unter der Leitung von Nikolaus Franz, die im Auftrag des Bundesdenkmalamts die Grabungen ausführte, betrieb ausführliche Archivrecherchen, insbesondere in den Akten der Rechnitzer Volksgerichtsprozesse, um anhand historischer Dokumente, Skizzen und Zeugenaussagen der Lage der Gräber näher zu kommen und die Verdachtsflächen einzugrenzen.

Archäologische Grabungen des Bundesdenkmalamtes fanden 2014, 2017, 2019, 2020 und 2021 statt. Im Gegensatz zu den früheren Grabungen mit meist kleinflächigen Bodeneingriffen ließ das Bundesdenkmalamt erstmals großflächig die Humusschicht abtragen und die Verfüllungen von in Frage kommenden Objekten, wie Gräben und Gruben, entnehmen. Auf diese Weise konnte z. B. im Jahr 2017 innerhalb von drei Grabungswochen fast ein Hektar Grund untersucht werden.

Die Grabungen des Bundesdenkmalamtes förderten zwar aufschlussreiche Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg, wie Kriegsgerät, Munition, Reste von Bunkern und auch einen gefallenen deutschen Soldaten, zutage, konnten aber die Massengräber bisher nicht lokalisieren. Immerhin sind damit nunmehr – unter Einbeziehung früherer Grabungen – etwa 2 Hektar der Verdachtsfläche südlich von Rechnitz für die weitere Suche auszuschließen.

Seit 2014 hat das Bundesdenkmalamt auf der Suche nach den Massengräbern von Rechnitz rund 110.000 Euro in Forschung und Grabungen investiert.

Fachgespräch und Veröffentlichungen des Bundesdenkmalamtes

Zusätzlich veranstaltete das Bundesdenkmalamt am 14. März 2018 auf die Initiative von Franz Sauer ein Fachgespräch zum Thema „Das Massaker von Rechnitz – zum Stand der Spurensuche“, dessen Ergebnisse vom Bundesdenkmalamt auch in Band 56 seiner Zeitschrift „Fundberichte aus Österreich“ veröffentlicht wurden. In derselben Zeitschrift finden sich Berichte zu allen oben angesprochenen Grabungen.

Projekte und Besprechungen von externen Expert:innen unter Koordination des Bundesdenkmalamtes

Parallel zu den archäologischen Grabungen versuchte das Bundesdenkmalamt bestehende Projekte anderer Institutionen und Forscher:innen einzubeziehen und auch neue anzuregen. Dafür wurden Besprechungen von Expert:innen, vorwiegend aus den Fachbereichen Archäologie, Militär- und Zeitgeschichte, und Vertreter:innen des Bundesministeriums für Inneres sowie des Österreichischen Bundesheeres und des Bundesdenkmalamtes organisiert. Bei diesen Besprechungen kam es zu einem regen Austausch und zu mehrfachen Kooperationen.

Seit 2020 fördert das Bundesdenkmalamt das „Oral History Projekt: Erinnerungen an das Massaker von Rechnitz“ des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung unter der Leitung von Barbara Stelzl-Marx. Das Projekt hat zum Ziel, durch Interviews mit Zeitzeug:innen die Situation rund um die ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter:innen und um das Massaker von Rechnitz näher zu beleuchten und zu dokumentieren. Ein besonderer Fokus wird darauf gelegt, wenn möglich neue Hinweise betreffend der Lokalisation der Gräber zu erhalten. Von September 2020 bis Juni 2021 wurden im Raum Rechnitz insgesamt zwölf Interviews durchgeführt. Bei den Zeitzeug:innen handelt es sich um gebürtige Rechnitzer:innen mit Geburtsjahren von 1928 bis 1945. Insbesondere generationenübergreifende Gespräche erwiesen sich als aufschlussreich: Nach 1945 Geborene erfuhren zum Teil erst in den 1980er Jahren von dem Massaker. Größere Aufmerksamkeit erhielt das Thema allerdings erst weitere 10 bis 20 Jahre später. Bei den Interviewpartner:innen herrscht weitgehend Konsens darüber, dass es wichtig sei, die Toten zu finden, sie würdevoll zu beerdigen und ihrer zu gedenken. Kontaktaufnahme mit Nachfahren der Beschuldigten/Verdächtigten der Rechnitzer Nachkriegsprozesse gestaltete sich im Allgemeinen sehr schwierig, mit Nachfahren der Opfer der zumeist als Fememorde interpretierten beiden Todesfälle während der Volksgerichtsprozesse bisher sogar gänzlich unmöglich. Durch Interviews konnten konkrete Verdachtsflächen für die Lage der Gräber bezeichnet werden, die sich auch mit den Verdachtsflächen deckten, welche 2021 archäologisch untersucht wurden. Dennoch führten aber auch diese Hinweise bisher nicht zum gewünschten Erfolg.

Die Ergebnisse des auf Zeitzeugen aus Nachbargemeinden und Forschungsergebnisse ungarischer Zeutzeug:innen ausgeweiteten Projekts sind im Endbericht publiziert.

Das Österreichische Bundesheer beteiligte sich wiederholt an der Suche nach Opfern des Massakers von Rechnitz. Nach einem ersten Einsatz der ABC-Abwehrschule im Jahr 1995 arbeiteten seit 2018 Militärhistoriker der Theresianischen Militärakademie (Markus Reisner) sowie der militärhistorische Experte der Direktion 1/Kommando Streitkräfte (Georg Hoffmann) mit den Expert:innen des Bundesdenkmalamtes zusammen. In enger Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt und betreut durch die Sektion IV des Bundesministeriums für Landesverteidigung wurden diese Anstrengungen in den Folgejahren ausgeweitet, die Experten des Bundesheers nahmen laufend an den Besprechungen des Expert:innenkreises teil. Im Mai 2021 waren zusätzlich Soldaten und Gerät des Pionierbataillons 1 aus Villach in wesentlichem Umfang an den Grabungsarbeiten beteiligt. Vom Kommando Streitkräfte koordiniert, ergänzten zusätzlich Elemente der Luftaufklärung mittels Luftbildfotografie die Suche nach weiteren Spuren im Gelände. Das dabei gewonnene Bildmaterial wurde dem Bundesdenkmalamt im September 2021 zur weiteren Auswertung übergeben. Der bisherige Wissenstand wurde durch das Bildmaterial gefestigt, weiterführende Erkenntnisse zur Lokalisierung der Gräber konnten nach derzeitigem Stand der Analyse nicht gewonnen werden.

Recherchen in US-amerikanischen und britischen Archiven haben bisher keine relevanten zusätzlichen Luftbildaufnahmen der alliierten Luftaufklärung aus dem fraglichen Zeitraum zu Tage gefördert.

Vorläufiges Resumée und Ausblick

Wie bereits ausgeführt, sind nach den bisher bekannten Quellen der sogenannte Kreuzstadl und das als „Remise“ bezeichnete Wäldchen die einzigen deutlichen geografischen Anhaltspunkte zur Lokalisierung der Gräber. Der Kernverdachtsfläche, der Bereich zwischen Kreuzstadl und „Remise“, umfasst etwa 30 Hektar. Durch die archäologischen Grabungen des Bundesdenkmalamtes der vergangenen Jahre kann nunmehr eine Fläche von etwa zwei Hektar als Gräberlage ausgeschlossen werden. Vor diesen Grabungen hatten sich die Hinweise aus Akten, geophysikalischen Prospektionen und Zeugenaussagen im Zuge der Forschung so weit verdichtet, dass die Grabungen auf konkrete Flächen bezogen werden konnten. Die Gräber wurden dennoch nicht aufgefunden.

Von zeitgenössischen Zeugenaussagen und einer militärhistorischen Analyse ausgehend, wird auch eine Lokalisierung der Gräber in den Vorfeldstellungen des ehemaligen Südostwalls diskutiert. Diese liegen einige hundert Meter weiter östlich des bisher untersuchten Bereichs zwischen Kreuzstadl und „Remise“. Eine Untersuchung des Bereichs der Vorfeldstellungen beträfe ein Vielfaches der Kernverdachtsfläche. Aufgrund der enormen Fläche könnten dort archäologische Grabungen daher nur auf Basis wesentlich konkreter Hinweise sinnvoll angesetzt werden.

Ohne neue Forschungsergebnisse sind weitere Grabungen somit nicht sinnvoll. Das Bundesdenkmalamt wird daher den fachlichen Austausch mit der Expert:innenrunde fortführen.

In Kooperation mit dem Expert:innenkreis arbeitet das Bundesdenkmalamt derzeit an einem Verzeichnis bisher bekannter und in wissenschaftlichen Publikationen angeführter archivarischer Quellen. Weiterführende Forschung zur Lokalisierung der Gräber soll damit angeregt und unterstützt werden.

Der Bericht zu den archäologischen Grabungen des Bundesdenkmalamtes 2021 von Nikolaus Franz und Franz Sauer sowie der Endbericht von Barbara Stelzl-Marx und Kornel Trojan zum Oral History-Projekt „Erinnerungen an das Massaker von Rechnitz“ des Ludwig Boltzmann-Instituts werden mit Zustimmung der Autor:innen auf der Webseite des Bundesdenkmalamts veröffentlicht.

Ebendort wird eine von Nikolaus Franz im Auftrag des Bundesdenkmalamtes erstellte Kartierung aller bisher durchgeführten (archäologischen) Grabungen zur Verfügung gestellt, soweit diese bekannt und gut lokalisierbar sind.

Weiterführende Informationen